«Visuelles Denken versetzt Berge» – Interview mit Amanda Lyons.
Amanda Lyons führt Kurse und Trainings zum Thema visuelle Moderation durch, leitet Präsentationen in Klassenzimmern via Skype an und arbeitet als graphic recorder. Das heisst: sie hält an Meetings Ideen visuell fest. Conny Wetter traf die Beraterin, Künstlerin, Moderatorin und visuelle Denkerin in New York zum Interview.
Conny Schwegler NeulandMAGAZIN. Meine erste Frage an dich.
Wie denkst du? Denkst du visuell?
Amanda Lyons
Ha! Danke für diese Frage. Seit einiger Zeit denke ich über den Jahreszeitenwechsel nach, wobei der Herbst meine Lieblingszeit ist. Hier in Brooklyn verfärben sich die Blätter an den Bäumen, dann fallen sie und die Temperatur sinkt. Das erinnert einen daran, die Natur wahrzunehmen und Wege zu finden, dieses unglaublich komplexe System, in dem wir leben, schätzen zu lernen. Ich schätze die innere Verbundenheit. Ja, ich nehme meine Gedanken visuell wahr, ich beobachte sozusagen in meiner Wahrnehmung, wie der Wind die Blätter bewegt. Manchmal ist es sogar so, als ob meine Hand jede Abbildung zeichnet, an die ich gerade denke ...
Wie lange gibt es Graphic Facilitation und Graphic Recording schon?
Eigentlich gibt es das schon seit die Menschen in Höhlen Zeichnungen angefertigt haben um zu kommunizieren. In diesem Sinne ist dies überhaupt nichts Neues. Was aber die neuere Entwicklung auf diesem Gebiet anbetrifft, so scheinen diese Anwendungen von einer Gruppe von Moderatoren, Architekten und Computer Designern zu kommen, die in den 60er- und 70er-Jahren in Kalifornien zusammen gefunden haben. Heute wird Graphic Facilitation und Recording weltweit angewendet. Ich möchte noch hinzufügen: wenn du mal die Gelegenheit hast, mit jemandem zu reden, der grosse Erfahrung auf diesem Gebiet hat, dann hör gut hin. Deren Geschichten bringen dich zum Schmunzeln und zum Lachen, sie sind voller Lebensweisheit und Inspiration!
Wie lange praktizierst du visuelle Moderation schon, und was genau machst du? Graphic Facilitation und Graphic Recording u/o Sketching? Und wo? In NY? Überall in den USA? In Europa?
Visualisierungen verwende ich praktisch schon mein ganzes Leben lang, und zwar im folgenden Sinn: Ich verwende Kunst um Fragen zu stellen und die Grenzen auszuloten wie wir Inhalte verstehen. Ich verstehe mich selbst als Künstlerin, obwohl viele, die dasselbe machen wie ich, sich nicht als Künstler sehen. Aber dennoch verstehe ich nicht alle meine Graphic Recordings als Kunstwerke. Dies klingt jetzt vielleicht allzu sehr nach semantischer Haarspalterei. Dennoch denke ich, dass die Leute ‚Kunst’ und ‚Kunstwerke’ allzu schnell in einer mentalen Schublade verstauen.
Wenn ich Menschen anleite, visuelle Denktechniken wie z.B. Graphic Recording, Graphic Facilitation, Sketchnoting etc. anzuwenden hat das mehr damit zu tun, die Leute untereinander und mit den im Raum stehenden Inhalten zu verbinden. Da geht es nicht darum, schöne Kunstwerke zu produzieren. Dies entsteht höchstens als Nebenprodukt, unbeabsichtigt gewissermassen, und es ist natürlich toll, wenn so etwas vorkommt. Aber dennoch ist dies zu Beginn der Arbeit nicht das Ziel. Mein Anliegen ist, für die Leute im Raum und darüber hinaus ein Bewusstsein zu schaffen für den Prozess hinter Graphic Recording (oder Facilitation) und für die Gründe warum wir diese benützen.
Um zu deiner Frage zurückzukommen: Ich begann vor ungefähr vier Jahren mit meiner eigenen Firma VISUALS for CHANGE in der ich mich Prozessen in Organisationen und visuellen Techniken widme. Generell beschäftige ich mich mit Graphic Recording und Graphic Facilitation und helfe den Leuten, visuelles Denken in ihre eigenen Abläufe zu integrieren. Ich glaube daran, dass dies Berge versetzen kann! Ich schaue den Leuten gern zu, wenn sie merken, dass sie keine arrivierten Künstler sein müssen, um Bildhaftes zu produzieren oder sogar in Malateliers zu zeichnen! Derzeit baue ich ein Onlineprogramm auf, eine Art visuelle Lernreise, die 9 Monate dauert und in der sich jemand ein eigenes Ziel setzt und fortlaufend daran arbeitet.
Wie du aus dem, was ich gesagt habe, schon gemerkt hast: Vieles, woran ich arbeite, mache ich von meinem Büro in Brooklyn aus, gehe aber sehr gerne dorthin, wo man mich braucht. Ich reise furchtbar gerne und hänge immer ein paar Tage für meine eigenen Erkundungen an, wenn ich an einem Ort bin, den ich noch nicht kenne.
Hast du als Kind schon gerne visualisiert?
Ja! Farbe und Kreation waren immer schon zentral für mich. Zeichnen und Malen, aber auch Lesen waren schon immer Teil meines Lebens!
Wie reagieren Amerikaner auf Visualisierungen? Kennen sie es oder sind sie überrascht?
Vor 4 Jahren begann noch jedes Gespräch damit, dass ich erklären musste, was ich tue. Ich habe sogar einen Blog darüber geschrieben. Und auch heute noch erkläre oder zeige ich viel. Aber es gibt mittlerweile auch solche, die davon gehört haben oder es selbst schon an einem Meeting oder an einer Konferenz erlebt haben.
Gibt es Themen oder Inhalte, die in deiner ganzen Arbeit immer wieder auftauchen oder auf die du dich spezialisierst?
Es gibt ein paar Gebiete, die ich sehr mag, aber ich lerne auch gerne Neues! So schätze ich es sehr, in Schulen und Ausbildung zu arbeiten oder mit Organisationen und Gemeinschaften, die gerade im Umbruch sind oder sich neu orientieren möchten. Alles, was mir erlaubt, Komplexitätstheorie, Team-Bildung und bildhaftes Denken unter einen Hut zu bringen.
Wie schaffst du eine Umgebung, die es den Leuten erlaubt, sich aufeinander und auf den Inhalt einzulassen, und dies auf einem intensiveren Level als gewöhnlich?
Ich glaube es ist äusserst wichtig, sich mit den Menschen im Raum zu befassen. Manchmal benutze ich einfache Übungen, wie z. B. Bewegung oder eine kleine Gruppenarbeit – irgend etwas, was die Leute aus ihrer Alltagsroutine herauslöst. Oft ist dies schon durch simples Zeichnen erreicht. Es ist immer wieder erstaunlich, wie Leute zusammenfinden, wenn sie ein Team bilden sollen und zusammen zeichnen.
Wie siehst du die Zukunft von Graphic Facilitation und Graphic Recording in den USA und darüber hinaus?
Ich glaube, dass man visuelles Denken nicht nur als eine legitime Methode ansieht, sondern mit der Zeit auch mehr darüber wissen wird. Wir werden uns nicht mehr so viel zu rechtfertigen haben. Es wird wohl auch eine Methode sein, mit der man sich von der Masse abheben kann. Ich hoffe, dass wir so langsam erkennen, wie wichtig visuelle Fertigkeiten für unser Lernen sind. Aber auf der anderen Seite sehe ich auch, dass Schulen ihren Kunstunterricht streichen, das macht mich sprachlos.
Wie war deine Erfahrung bei EuViz in Berlin?
Ich hatte eine fantastische Zeit dort und ich habe viele Geschichten für meine persönliche und auch berufliche Erfahrung mitgenommen. So musste ich z.B in Flipflops herumlaufen, weil ich es geschafft habe, mir zuvor einen Zehen zu brechen und kein Schuh zu finden war, der über den Verband passte. Ich habe es sehr geschätzt, meine europäischen Kollegen kennen zu lernen, die es nur selten zu den amerikanischen Konferenzen schaffen. Diese zwei Dinge haben mich sehr beeindruckt: erstens von den Erfahrenen auf dem Gebiet zu hören und zweitens wie alle am Open Space teilnehmen konnten. (Dies ist eine bestimmte Übung, bei der jeder und jede im Raum ein Thema einbringen und diskutieren kann.)
Was hat dich am meisten beeindruckt bei EuViz in Berlin? Welche Eindrücke hast du mitgenommen?
Was mich am meisten beeindruckt hat: das Konzept der EuViz war phänomenal. Als jemand, der Organisationen bei deren Entwicklung anleitet und jemand, der an Konzepten zur Durchführung von Meetings interessiert ist (auch als Teilnehmerin) kann ich sagen, dass die Leute, die die EuViz organisiert haben, einen überirdisch guten Job gemacht haben! Wie schon gesagt, die Sitzungen waren auf eine Art konzipiert, so dass alle etwas mitnehmen konnten, vom Veteran bis zum Neuling. Ich war hingerissen von der unglaublichen Arbeit, die die Gastgeber geleistet haben, damit es uns wohl war – sie haben sogar den Besuch von Sehenswürdigkeiten und Essen organisiert, auf eine einzigartig freundliche und engagierte Weise. Und was Berlin betrifft – wow! Was für eine Stadt! Die Vielfalt von Kunst überall ist sehr inspirierend!
Wenn du einen einzigen Wunsch frei hättest: Was würdest du dir für die World of Visualisation wünschen?
Ich würde mir wünschen dass die Leute ausserhalb der Visualisierungsszene merken, wie unglaublich diese Arbeit sein kann und dass die Insider nicht nachlassen, und weiterhin daran arbeiten, an einer stärkeren Gemeinschaft zu bauen. Oder: Ich würde mir wünschen, dass die World of Visualisation ihren Weg in die Arbeit und die Freizeit von vielen Leuten findet, ihnen hilft, sich besser untereinander auszutauschen, und inspirierte Leben in stärkeren Gemeinschaften zu führen.
Amanda Lyons besuchte die Carey School of Business an der Johns Hopkins University und schloss ihr Studium mit einem MS in Organisation Development and Strategic Human Resources ab. Als Dozentin für Outward Bound Urban Centers unterrichtete Amanda Führungsfertigkeiten, indem sie die Resilienz und das Mitgefühl der Teilnehmenden aufbaute. Die freie Natur diente hier als Klassenzimmer.
Im Jahre 2010 begann Lyons ihr Programm VISUALS for CHANGE. Dieses fördert ein einfacheres gegenseitiges Verständnis durch eine verbesserte visuelle Kommunikation. Als Alleinunternehmerin arbeitet sie dabei für Unternehmen jeder Grösse.
Sie unterrichtet auch an Führungsseminaren an der Rider University, unterstützt und organisiert Business Team Building Programme und Events.Derzeit ist sie am Peeragony Project beteiligt, welches eine monatliche ‚Complexity group’ in Philadelphia organisiert und baut eine Onlineplattform für eine «visuelle Lernreise» auf.