


2019
Erkenntnisse der Hirnforschung I Interaktionsaufgaben fördern Lernerfolge •
Das Gehirn rechnet permanent aus, was als Nächstes geschieht: Trifft es tatsächlich ein, schaltet es auf Autopilot. Unerwartetes steigert die Aufmerksamkeit.

Die Hirnforschung belegt: Interaktionsaufgaben fördern den Lernerfolg.
Die neuesten Resultate der Hirnforschung liefern interessante Erkenntnisse zu den Themen «Lernen» und «persönliche Veränderung». Sie belegen auf eindrückliche Art und Weise, wie wichtig Interaktionsaufgaben sind. Eine besondere Rolle spielt dabei das limbische System mit dem Mandelkern als zentrale «Schaltstelle».
Das Gehirn rechnet permanent aus, was als Nächstes geschieht. Wenn das Erwartete eintritt, wird es als unbedeutend gewertet – das Gehirn stellt quasi auf Autopilot um. Erlebnisse, die als «anders», als «besser als er wartet» oder als «Überraschung» wahrgenommen werden, erregen Aufmerksamkeit.
Diese Erfahrungen werden mit höherer Priorität weiterverarbeitet und die Wahrscheinlichkeit, dass sie im Langzeitgedächtnis abgespeichert werden, steigt. Als Nebeneffekt wird das körpereigene Belohnungssystem aktiviert und es werden körpereigene Opiate wie das hochwirksame Dopamin ausgeschüttet. Diese Opiate belohnen Lernende mit einem guten Gefühl. Gelernt wird, was sich zu lernen lohnt. Im umgekehrten Fall schaltet das Gehirn ab, um begrenzte Ressourcen (Aufmerksamkeit, Gedächtnis) nicht für «Nutzloses» zu verschwenden.
Überraschungen steigern die Lernfähigkeit
Interaktionsaufgaben schaffen Überraschungsmomente. Die Aufgabenstellung und die Herausforderung sind für die Akteure neu und der Ausgang ist es auch. Das führt zu einer intensiven Erfahrung der Beteiligten, die sich häufig noch Jahre später an bestimmte Erlebnisse erinnern können.
Emotionen sind die Energielieferanten oder die «Motoren» aller kognitiven Dynamik. Sie steigern die Aufmerksamkeit und öffnen zahlreiche Zugänge zu Gedächtnisspeichern. Darüber hinaus reduzieren Emotionen die Komplexität. Sie helfen uns, Entscheidungen zu fällen und Denkinhalte zu hierarchisieren. Der Mandelkern, als Teil des limbischen Systems, gibt dem Menschen permanent Gefühls-Feedback über das, was er erlebt und rational denkt. Ohne diesen Rückmeldemechanismus ist vernünftiges Denken nicht möglich.
Lernen heisst erleben
Interaktionsaufgaben erzeugen Gefühle bei den Akteuren. Da sie wie kleine Lernwelten konzipiert sind, in denen die Gruppe Herausforderungen meistern muss, handeln die Beteiligten authentisch. Wie im echten Leben, müssen sie sich mit Vorgehensweisen und Blickwinkeln anderer beschäftigen und auseinandersetzen. Es gilt, ein Ziel zu erreichen. Das setzt zahlreiche Emotionen frei. Dadurch wird der Lernvorgang authentisch, die Akteure werden klar im Kopf und können Entscheidungen leichter treffen.
Kleine Kinder sind die besten Lerner. Sie sind permanent kreativ und erschaffen Neues. Sie probieren aus, verwerfen und probieren wieder Neues aus. Neurobiologisch betrachtet, findet in der ersten Lebensphase das intensivste Lernen statt. In kurzer Zeit werden mehr neuronale Verbindungen geschaffen als später im Erwachsenenleben. Kinder, die in zwei Kulturen gross werden, lernen die Sprachen in der Regel spielend. Oder, noch viel früher, so komplexe Vorgänge wie Laufen oder Sprechen.
Körper und Geist bilden eine Einheit
Das Gelernte hat sich durch eigenes Erschaffen und Erleben so tief eingegraben, dass es nicht mehr verlernt werden kann. Wissen kann nicht einfach «vermittelt», sondern nur angeboten werden. Der Lernende muss es noch einmal für sich selbst erschaffen und integrieren. Interaktionsaufgaben tragen dazu bei, die exzellenten Lernstrategien, die wir als Kinder hatten, wieder neu zu aktivieren.
Das Gehirn und das übrige Nervensystem stehen in direkter Vernetzung mit dem gesamten Körper. Traditionelles Lernen findet leider auch heute noch viel zu häufig im Sitzen statt. Lernen wird als «Kopf»-Sache bezeichnet, als sprachlich-kognitiver Prozess. Heute wissen wir, dass Körper und Geist ein System sind, das untrennbar miteinander verbunden ist: Denken und Bewegung sind miteinander vernetzt. Soziale Interaktion ist eine ideale Plattform, um Körper und Geist in Aktion zu bringen. Interaktionsaufgaben sind meistens auf sozialer Interaktion und auf Bewegung aufgebaut. Sie integrieren die körperliche Aktivität in den Lernprozess.
Visuelle Impulse steigern den Lernerfolg
Aus neurobiologischer Sicht sind sprachlich-kognitiven Angebote eine hervorragende Ansprache für alle Prozesse, die in der Grosshirnrinde ablaufen. Sie sind in ihrem Wirkungsspektrum allerdings begrenzt. Wie die neuere Hirnforschung belegt, braucht der Neokortex für Kommunikationsvorgänge und Entscheidungen jeder Art die entwick- lungsgeschichtlich älteren Teile des Gehirns: das Mittel- und das Stammhirn. Diese werden auch als «Alligatorengehirn» bezeichnet.
Sie sind als emotionales Rückmeldeorgan unverzichtbar. Sie «bewerten das, was das Gehirn tut». Um nachhaltige Lern- und Veränderungsangebote zu schaffen, müssen wir also auch «die Sprache des Alligatorengehirns sprechen». Weil Alligatoren nicht so viel reden, bedeutet das, dass wir zusätzliche visuelle Impulse benötigen.
Wenn zu diesen visuellen Impulsen auch noch körperliche und soziale Interaktionen kommen, die wiederum selbst ja auch die mentale Erzeugung von inneren Bildern anregen, wird die Kraft des Lern- und Veränderungsangebots noch stärker. So gesehen sind Interaktionsaufgaben wie Filme, in denen der Akteur sowohl Schauspieler als auch Regisseur ist: Er beeinflusst die Handlung, die er als Filmkritiker hinterfragt.